Tattoo und Transparenz
Interview mit Andrea Lukner, Tattoo-Meisterin*
Ich finde, man sollte, wenn man schon gute Ratschläge gibt, diese auch selber befolgen. Wenn man also wissen will, wie Tattoos gemacht werden und wo das Ganze passiert, sollte man sich das mal anschauen. Ich habe mich aufgemacht, um mit Andrea Lukner zu sprechen. Sie ist Tattoo-Meisterin* und hat ihr Studio in der Mülheimer City.
Auf Andrea Lukner bin aus zwei Gründen aufmerksam geworden: Sie ist Goldschmiedin, was für mich auf gestalterische Fähigkeiten hindeutet und sie ist eine Frau. Ihr Studio liegt zu einem gediegenen Patrizierhaus. Großflächig steht über der gesamten Fensterfront „Al Tattoo“. Es ist hell, im Schaufenster sind Schmuckstücke ausgestellt. Als ich herein komme, werde ich freundlich von den Angestellten empfangen und kann sehen (und hören), dass ein Kunde gerade ein Tattoo bekommt. Nur kurz nach mir kommt auch Andrea Lukner in ihr Studio und schiebt ihr Rad um die Ecke. Sie begrüßt mich und wir setzen uns in eine gemütliche Ecke in ihrem Studio. Sie hat weiterhin den Überblick sowohl über den Eingang als auch über den Behandlungsbereich und ich kann mich ganz auf sie konzentrieren.
Ghita Yu: Woher kam der Wunsch Tätowiererin zu werden? Beziehungsweise was war zuerst da, die Goldschmiedin oder….
Andrea Lukner: Also, dass ich tätowieren wollte, war für mich schon sehr früh klar. Ich habe immer gerne gezeichnet und mich für Kunst interessiert. Leider ist Tätowierer noch kein Ausbildungsberuf, das wäre aus meiner Sicht aber wünschenswert. Die Ausbildung zur Goldschmiedin war eher so ein Notnagel. Denn wer weiß schon wie lange so eine Welle anhält. Und ich wollte einen Beruf haben, den ich auch ausüben kann, wenn es mit dem Tätowieren mal nicht so gut läuft.
Ghita: Sind Tätowierer anders an Kunst interessiert? So wie Cartoonisten vielleicht? Haben Sie in der Schule vielleicht auch gekritzelt und witzige Bildchen auf der Schulbank hinterlassen?
Andrea: Nee, nie.
Ghita: Wer kommt eigentlich und will ein Tattoo haben?
Andrea: Alle!
Ghita: Echt alle? Auch ’n Banker aus Frankfurt?
Andrea: Der Banker, Pilot, Arzt, Rechtsanwalt, echt jeder. Die Leute kommen aus allen sozialen Schichten. Und es sind auch solche dabei, die wirklich lange gespart haben, um sich ein Tattoo leisten zu können.
Ghita: Warum wollen die Leute ein Tattoo?
Andrea (wie aus der Pistole geschossen): Das gibt Selbstbewusstsein, ganz klar. Deswegen wollen die das. Und das Witzige ist, dass das Geschäft gerade in der Wirtschaftskrise vor einigen Jahren gebrummt hat wie noch nie. Wir haben sogar einen weiteren Tätowierer eingestellt!
Ghita: Ist ja interessant. Das ist das gleiche Phänomen wie beim Lippenstift. Der wird auch gekauft, wenn es mit der Wirtschaft nicht so gut läuft und sich die Frauen was Schönes leisten wollen. Und ein Lippenstift gibt auch Selbstwertgefühl.
Andrea: Und ein Tattoo kann einem keiner wieder weg nehmen, es kann auch nicht geklaut werden. Das hat man für immer.
Ghita: Wenn ich mich hier so umgucke, fällt mir auf, dass es im Studio ja hell ist, großzügig, ich kann von draußen sehen, dass Kunden da sind….
Andrea: Das ist mein Konzept. Ich möchte, dass das hier alles so transparent wie möglich ist.
Ghita: Also keine dunkle Hinterhof-Kaschemme….
Andrea: Das will ich eigentlich gar nicht hören! Klar gibt es Hinterhofkaschemmen! Das leider viel zu oft und, da diese weniger auf Hygiene achten, oft nicht versichert sind und nicht vom Gesundheitsamt kontrolliert werden, sind sie mit professionellen Studios nicht vergleichbar. Natürlich gibt es Studios, die separate Räume zum Tätowieren haben, aber das ist doch noch kein Hinterhof! Dieses wird nur in den Medien immer wieder so erzählt. Genauso, dass wir Tätowierer nachts durch die Straßen laufen und den Lack von den Autos kratzen, um ihn dann am nächsten Tag zu verwenden.
Ghita (kichert): Wie Grufties in dunklen Klamotten und mit schwarz umrandeten Augen….
Andrea: Seh‘ ich so aus?
Sie blickt mich dabei sehr streng aus ihren blauen Augen an. Sie trägt übrigens kein Make-up und auch ansonsten sieht sie eher aus wie die nette Nachbarin von nebenan.
Ghita: Aber wie ist es mit der Hygiene?
Andrea: Hygiene ist ein absolutes Muss. Ich achte sehr streng darauf. Einmal pro Jahr kommt das Gesundheitsamt. Das ist übrigens wie in jeder Arztpraxis auch. Und der Autoklav zum Sterilisieren der Gerätschaften wird auch jährlich vom Hygieneinstitut überprüft.
Ghita: Nimmt man denn keine Einwegnadeln?
Andrea: Jetzt ja, früher habe ich selber die Nadeln zu Nadelgruppen an die Nadelstange gelötet. Nadeln waren für mich schon damals ein Einwegprodukt. Ich habe sie nach dem Löten sterilisiert und nach dem Tätowieren entsorgt. Heute ist das alles viel einfacher. Die Nadeln kommen aus einer sterilen Verpackung, werden eingesetzt und auch nur für einen Kunden verwendet.
Ghita: Also auch wie beim Arzt.
Andrea nickt.
Ghita: Wie schnell bewegen sich eigentlich die Nadeln?
Andrea: Also hier wird gerade mit einer Geschwindigkeit von 55 Stichen/Sekunde gearbeitet. Das ist aber keine feste Zahl und ist von der Art der Maschine abhängig und von dem jeweiligen Tätowierer.
Ghita: Tut es weh?
Andrea: Klar tut Tätowiert werden weh. Eine Verletzung der Haut merkt man natürlich. Ist aber auszuhalten (sie grinst). Hinterher aber ist die Haut schon gespannt und druckempfindlich. Ganz ähnlich wie bei einem Sonnenbrand. Das ist aber nach ein paar Tagen wieder vorbei.
Ghita: In den Medien wird ja nicht nur über Hygiene und Allergien berichtet, sondern vor allem über die Farben, die angeblich nicht ok sein sollen? Kann ich mal so eine Flasche sehen?
Andrea springt auf, geht in den hinteren Bereich des Studios und kommt mit einem kleinen Fläschchen Farbe zurück. Ich bin begeistert! Die Farbe ist volldeklariert wie es bei Kosmetika üblich ist und ich entdecke nichts, was irgendwie „seltsam“ sein könnte.
Ghita: Toll! Das steht ja alles drauf! Das Pigment ist mit Color Index deklariert und für Schwarz wird Carbon Black (CI 77266) verwendet!
Andrea: Bei den Farben wird echt ein falsches Bild vom Tätowieren gezeichnet. Wirklich als ob wir den letzten Dreck verwenden würden. Autolacke!
Ghita: Ist das gleiche Problem wie in der Kosmetik! Man muss wirklich unterscheiden zwischen den unterschiedlichen Qualitäten der Pigmente. Für ein Auto reicht eine technische Qualität in der Kosmetik oder beim Tätowieren verwendet man die kosmetische oder gar pharmazeutische Qualität.
Aber es kann natürlich trotzdem zu Allergien kommen, oder?
Andrea: Wir prüfen sehr sorgfältig, wenn jemand einen Allergiepass hat, ob Komponenten davon in den Farben enthalten sind. Aber bisher hatten wir in 21 Jahren noch keinen einzigen Fall!
Ghita: Kann man sich ein Probetattoo stechen lassen, um zu sehen, ob man die Farben verträgt?
Andrea: Wenn das gewünscht wird.
Ghita: Hält ein Tattoo wirklich ein Leben lang?
Andrea: Im Prinzip schon, aber es kann mit der Zeit verblassen. Und das ist individuell sehr unterschiedlich. Jeder Mensch ist anders, es hängt von der Stelle ab, wo das Tattoo gemacht wurde, jeder Tätowierer sticht etwas anders und unterschiedlich tief. Man kann da schlecht sagen, wie lange ein Tattoo schön bleibt.
Ghita: Sollte man sein Tattoo besonders pflegen?
Andrea: Ja, schon. Zur Pflege gehört vor allem, dass man Sonnenbestrahlung auf der tätowierten Haut minimiert und Sonnenbrand echt vermeiden sollte. Schattierte Tattoos sind besonders empfindlich. Also Lichtschutzfaktor tragen oder mit Kleidung vor der Sonne schützen. Ansonsten schadet natürlich alles dem Tattoo, was die Durchblutung der Haut verringert: Rauchen oder starker Alkoholkonsum.
Ghita: Sollte man sein Tattoo besonders cremen?
Andrea: Außer der Sonnenschutzcreme brauchte es das nicht. Die Farben leuchten natürlich auf eingecremter Haut mehr. Ansonsten kann man die tätowierte Haut aber genauso behandeln wie normale Haut auch. Auch ein Peeling geht also problemlos.
Ghita: Die Frage an die Meisterin: Gibt es Tattoos die Sie echt schlecht finden?
Andrea (druckst erkennbar herum): Also, ein Tattoo ist doch immer etwas sehr persönliches und es muss vor allem dem Träger gefallen.
Ghita: Gibt es Tattoos, die Sie nie stechen würden?
Andrea: Nazi Symbole!
Ghita: Und was würden Sie einem noch minderjährigen Teenager raten, der unbedingt ein Tattoo haben möchte?
Andrea: Also, da verstehe ich vor allem viele Eltern nicht, die ihrem Kind erlauben, sich ein Tattoo auf den Unterarm stechen zu lassen! Denken die denn gar nicht daran, dass das häufig von Kleidung unbedeckte Areale sind? Und wenn im Bewerbungsgespräch das Tattoo zu sehen ist, kann das schon ein Ablehnungsgrund sein. Klar, das sagt keiner so. Die sagen dann, dass sie sich für jemand anderen entschieden haben!
Ghita: Also, ein Tattoo nur an eine Stelle, die üblicherweise von Kleidung bedeckt ist?
Andrea: Ja, wenn es als junger Mensch unbedingt sein soll, ja nur dort. Es wird sich doch noch so viel verändern im Leben der jungen Menschen! Also, keine Tattoos auf Unterarme, an den Hals oder gar auf die Finger! Die sind sowieso immer sehr schlecht zu tätowieren, es sieht nie wirklich schön aus.
Ghita: Haben Sie schon mal abgelehnt ein Tattoo zu stechen?
Andrea: Jein. Ich hatte eine blutjunge Kundin mit wirklich makelloser heller Haut, die wollte unbedingt ein Tattoo auf die Brust. Ich habe versucht sie zu überreden, das an anderer Stelle zu machen. Aber sie wollte nicht. Sie war volljährig!
Ghita: Und wenn Kunden kommen, um sich ein Tattoo „wegmachen“ zu lassen?
Andrea: Also wegmachen geht hier nicht, aber man kann es überstechen.
Ich gucke offenbar so ungläubig, dass sie ihr Notebook holt und mir Arbeiten zeigt, in denen Spinnen, Särge oder Snoopies in einem wilden Geranke exotischer Blumen verschwunden sind.
Ghita: Ich bin echt beeindruckt, das alte Tattoo sieht man echt nicht mehr. Aber das neue ist jetzt größer.
Andrea: Ja, aber die Kunden wollten das auch so.
Ghita: Herzlichen Dank für dieses Gespräch!
Mein Fazit: Tattoo Studios heute sind wirklich saubere und transparente Plätze mit höchsten Hygienestandards. Andrea Lukner hat mich durch ihre Offenheit und Expertise schwer beeindruckt. Ein Gespräch ist wirklich das beste Mittel, um herauszufinden, welches Tattoo man haben möchte oder ob. Ich bleibe bei der Null-Version, kann aber nur jedem raten, sich an eine Fachfrau oder einen Fachmann zu wenden, wenn er eins möchte.
*Meisterin darf man hier bitte nicht verstehen wie „Dachdeckermeister“ oder so, denn Tätowierer ist in Deutschland (noch) kein anerkannter Ausbildungsberuf. Ich verwende hier den Titel Meisterin um zu zeigen, dass Andrea Lukner lange Erfahrung und solides Wissen in dem Bereich hat, und von ihren künstlerischen Fähigkeiten kann sich jeder selber auf ihrer Website www.altattoo.de überzeugen.
Foto: ©istockphoto.com/mschenk
Autor dieses Artikels:
Dr. Ghita Lanzendörfer-Yu ist promovierte Chemikerin und Expertin auf dem Gebiet der Entwicklung und Produktion von Kosmetika. Sie bringt mehr als 16 Jahre Erfahrung in der kosmetischen Industrie mit sowie sieben Jahre freiberufliche Erfahrung in Shanghai, China und Mülheim adR.
Urheberrecht: Dr. Ghita Lanzendörfer-Yu. Verwendung des Textes nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors.
Dieser Artikel wurde verfasst am 22. Juli 2014
von Ghita_Yu in der Kategorie Geheimnis Kosmetik
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