Vom Schaf, der Wolle und der weiten Welt
Lanolin ein nachhaltiger Rohstoff mit Zukunft?
Über einen Rohstoff, der die Entstehung der modernen Kosmetik begründete, woher er kommt und über die globale Verzahnung bei seiner Produktion, Reinheit und Einsatzgebiete, den Nutzen in der Hautpflege, Allergien, BSE und warum er wahrscheinlich bald „verschwunden“ sein wird und die Rolle von uns als Konsumentinnen dabei.
Ich geb‘ es zu, Lanolin ist einer meiner Lieblingsrohstoffe, nicht weil er so dezent nach Schaf riecht, sondern, weil er so vielen Kosmetikprodukten das „gewisse Etwas“ verleiht. In Lippenstiften verbessert er die Dispersion der Pigmente und den Abrieb auf der empfindlichen Lippenhaut, in Hautcremes verbessert er den Hautschutz und die Apothekengrundlage Eucerinum Anhydricum besteht sogar zur Hälfte daraus.
Vom Schaf: Wolle und Wollwachs
Lanolin kommt vom Schaf, besser gesagt von seiner Wolle. Damit gehört Lanolin im weitesten Sinne zu den tierischen Rohstoffen, obwohl kein Tier für seine Gewinnung leiden oder sterben muss. Im Gegenteil: Die Schafschur ist eine notwendige Maßnahme, um Schafe gesund zu halten. Würde man Schafe nicht scheren, verfilzte die Wolle, es setzten sich Parasiten fest und zu guter Letzt würde die Wolle in großen Büscheln abgestreift werden – nicht ohne Verletzung des Tieres.
Nach der Schur muss die Wolle gewaschen werden, bevor sie weiter verarbeitet werden kann. Heutzutage findet das in großen Wollwaschstraßen statt, die – ja, wir haben es schon vermutet – in China stehen, aus Rentabilitätsgründen. Nach der Wäsche wird die saubere Wolle in Spinnereien geliefert und zu edlen Garnen und Stoffen weiter verarbeitet. Doch das übrig gebliebene Fett, das sogenannte Wollwachs, muss noch mehrere Reinigungsschritte durchlaufen, bevor es in der Kosmetik eingesetzt werden kann. Die Waschstraßenbetreiber verkaufen es an Firmen in aller Welt, die daraus Lanolin machen.
Lanolin: Reinheit und BSE
Lanolin ist, wie viele Stoffe aus der Natur, kein reiner Stoff, sondern ein Gemisch aus vielen verschiedenen Komponenten. Die wichtigsten sind: Ester, Di-Ester und Hydroxyester langkettiger Fettsäuren und Alkohole, sowie Lanolin Alkohole (überwiegend Cholesterol und Lanosterol). In den Arzneibüchern dieser Welt ist Lanolin eindeutig spezifiziert, es besitzt eine wachsige Konsistenz und hellgelbe Farbe. Besonders die Pestizidrückstände sind reglementiert und in der Europäischen Pharmakopöe unter 1ppm gefordert (= Nachweisgrenze). Weiterhin darf derzeit bei uns in Europa nur Lanolin verwendet werden, das von Australischen Schafen gewonnen wurde. Gibt es denn hier keine Schafe, möchte man fragen? Doch ja, aber hier gibt es auch BSE und davon ist nur die neue Welt nicht betroffen.
Wirkung von Lanolin auf der Haut
Das Wollwachs schützt nicht nur das Schaf(fell) vor Nässe und verlieh den Spinnerinnen weiche Hände, als Lanolin ist es eine ganz wichtige Hautschutzkomponente. Es wird als (Co-)Emulgator verwendet oder Dispergierhilfe in Lippenstiften und grundsätzlich in allen Produkten, die gute Verträglichkeit und Wirksamkeit vereinen sollen: in der Panthenol-haltigen Augensalbe also genauso wie in der Baby-Poschutzcreme. Dabei beruht seine exzellente Wirksamkeit auf der Haut darin, dass es nicht nur eine gute Sperrschicht gegen Wasser bildet, sondern Wasser selbst auch binden kann. Als Resultat bleibt die Haut lange geschmeidig und gepflegt, sensible Bereiche am Auge und an Schleimhäuten werden nicht ausgetrocknet. Lediglich seine Fettigkeit kann als unangenehm empfunden werden.
Lanolin und Allergien
Nichts hält sich so hartnäckig wie ein schlechter Ruf. Lanolin geriet in den 50iger Jahren des vorherigen Jahrhunderts in den Verdacht, ein Allergen zu sein. Man vermutet heute, dass Daten eines Tests falsch interpretiert wurden. Aber in den 70iger Jahren wurde sogar eine Kennzeichnungspflicht für Produkte, die Lanolin enthielten, gefordert. Betrachtet man die vielen Studien, die seinerzeit zu Lanolin gemacht wurden, so dürfen einem Zweifel über die Relevanz kommen (siehe auch http://www.lanolin.de/neu/deutsch/allergy.php). Nicht zuletzt setzte sich der anerkannte amerikanische Dermatologe Albert Kligman vehement für Lanolin ein. Heute vermutet man eher, dass möglicherweise überalterte Testpflaster (Lanolin kann aufgrund der enthaltenen ungesättigten Verbindungen oxidieren und dann Reizungen hervorrufen) verwendet wurden und weiß, dass die Reduktion des Lanolinalkohol-Gehaltes (der übrigens mit der drastischen Reduktion der Pestizide einhergeht) die „Allergie-Rate“ dramatisch senkt.
Wollproduktion und die Zukunft von Lanolin
Betrachtet man also diesen Alleskönner Lanolin, müsste er eigentlich viel mehr verwendet werden! Doch es sieht düster aus: Die Nachfrage nach Wolle und damit ihre Produktion gehen schon seit Jahrzehnten stetig zurück. Das liegt im Wesentlichen an billigeren Alternativen wie Baumwolle oder Kunstfasern als auch der vermeintlichen einfacheren Pflege der alternativen Gewebe. Wolle macht weltweit nur noch 2% aller textilen Fasern aus. In Australien z.B. hat sich die Wollproduktion in den vergangenen 10 Jahren halbiert. Wer jetzt mitgerechnet hat, kann sich denken, was das für die Produktion von Wollwachs bedeutet. Je weniger Wolle produziert wird, desto weniger Wollwachs fällt beim Waschen an. Lanolin wird also irgendwann in naher Zukunft ein ziemlich teurer Rohstoff werden, wenn es ihn denn überhaupt noch zu kaufen gibt! Eine weltweit bekannte Creme in der blauen Dose wird es dann wohl auch nicht mehr geben, denn Wollwachs, speziell Lanolin Alkohol, war der Grundstein für die Entwicklung der Nivea Creme: dem Beginn der modernen Kosmetik.
Wir Verwenderinnen, unsere Vorlieben und Abneigungen bestimmen mit, welche Rohstoffe es in Zukunft geben wird und wo sie produziert werden. Wenn wir also weiterhin von den Vorzügen Lanolin-haltiger Produkte profitieren wollen, gibt es nur eins: Weg mit dem Micro-Fleece! Strickt mehr Wollpullies!
Foto: Dr. Ghita Lanzendörfer-Yu
Autor dieses Artikels:
Dr. Ghita Lanzendörfer-Yu ist promovierte Chemikerin und Expertin auf dem Gebiet der Entwicklung und Produktion von Kosmetika. Sie bringt mehr als 16 Jahre Erfahrung in der kosmetischen Industrie mit sowie sieben Jahre freiberufliche Erfahrung in Shanghai, China und Mülheim adR.
Urheberrecht: Dr. Ghita Lanzendörfer-Yu. Verwendung des Textes nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors.
Dieser Artikel wurde verfasst am 14. Oktober 2014
von Ghita_Yu in der Kategorie Geheimnis Kosmetik
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Eine Antwort zu “Lanolin ein nachhaltiger Rohstoff mit Zukunft?”
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Ghita_Yu
18. Oktober 2014 um 19:02
Per email erhielt ich folgenden Hinweis:
Die Nachweisgrenze für einzelne Pestizide (z.B. Lindan) liegt mittlerweile bei 0,005 ppm.
Pestizidgrenzwert in Lanolin für einzelne Pestizide ist <0,05 oder < 0,5 (je nach Pestizid) und die Gesamtsumme darf 1 ppm nicht überschreiten. Es gibt aber auch Lanolinqualitäten, die die Vorschriften des Arzneibuches in diesem Punkt weit übertreffen und entweder einen Gesamtpestizidgehalt von < 0,2 ppm oder sogar nicht nachweisbar haben.