…wie man den Verbraucher für dumm verkauft…
Mizellenwasser
Wow, klang das gut: Mizellenwasser zur Gesichtsreinigung. Besser als normales Wasser auf jeden Fall. Und dann wurde es noch als besonders sanft und schonend angepriesen. Besser geht’s nicht, oder?
Zu der Zeit als ich noch als Entwicklerin arbeitete, hätte ich mir herbe Kritik eingefangen, hätte ich auch nur gewagt vorzuschlagen ein Produkt mittels Technologie auszuloben. Ok, Liposomen, oder Mikrokapseln das ging – aber Mizellen? Musste man das dem Verwender nicht erklären?
Vollmundige Werbeversprechen
Doch, doch es wird „erklärt“: „… es handelt sich bei Mizellen um reinigende Wirkstoffe, die wie ein Magnet Unreinheiten und Make-up auf der Haut anziehen, ganz ohne Reiben.“ Der Hersteller verschweigt wohlweislich, dass man den so gebundenen „Dreck“ ja auch wieder irgendwie von der Haut runter bekommen muss. Oder können Mizellen fliegen?
Die Mizelle und Oberflächenspannung
Wikipedia erklärt das Ganze sehr anschaulich (1): Mizellen sind Aggregate aus amphiphilen Molekülen bzw. grenzflächenaktiven Substanzen, die sich in einem Dispersionsmedium (meist Wasser) aufgrund des hydrophoben Effekts spontan zusammenlagern (Abb.1).
Abb. 1: Schematisches Aussehen einer Mizelle, aus Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Mizellen#/media/File:Y%C3%BCzeyi_akif_maddelerin_temiz_sudaki_hali._(Dairemsi)_V2.png
Bei dem amphiphilen Molekül handelt es sich meistens um ein Tensid, wie wir es zum Haare waschen oder Duschen auch verwenden. Tenside haben die tolle Eigenschaft, dass sie die Grenzflächenspannung von Wasser herabsetzen. Dadurch kann eine Oberfläche besser benetzt werden. Das klassische Experiment (2) dazu ist die Büroklammer in einem Schälchen voller Wasser: Sie schwimmt auf der Oberfläche (wegen Grenzflächenspannung). Gibt man nun einen Tropfen Spüli dazu, schwupps geht die Klammer unter.
Abb.2: Grenzflächenspannung von Wasser z.B. an einer Glaswand erzeugt den sogenannten Meniskus (https://de.wikipedia.org/wiki/Grenzfl%C3%A4chenspannung#/media/File:WasserLuftWand.svg)
Tenside und wie man sie unterscheidet
Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal für Tenside ist ihre kritische Mizellbildungskonstante (CMC), mit derer sich beschreiben lässt, wie effektiv ein Tensid die Oberfläche belegt. Bei der Reinigung ist das Vorhandensein von Mizellen erwünscht und dort ist die CMC dann ein Maß für die Effizienz eines Tensides. Mizellen sind also nichts Ungewöhnliches und treten bei der Reinigung üblicherweise auf.
Abb.3: Kritische Mizellbildungskonstante (CMC) https://www.kruss.de/de/service/schulung-theorie/glossar/cmc/
Gemessen wird die CMC üblicherweise mit einem Tensiometer und wird als Stoffkonstante meistens in der Spezifikation mit aufgeführt.
Hautverträglichkeit von Tensiden
Tenside stehen üblicherweise nicht in dem Ruf besonders gut hautverträglich zu sein (siehe auch: Seife – besser als ihr Ruf). Das liegt zum Teil aber auch daran, dass Natrium Laurylsulfat als Testsubstanz für Irritationen eingesetzt wird. Und natürlich haben Tenside, weil sie eben die Oberflächen gut belegen, auch negative Eigenschaften. So können sie z.B. Zellmembranen schädigen. Das macht man sich nun zu Nutze bei einem in vitro Verträglichkeitstest für Tenside, dem Red-Blood-Cell Test (RBC-Test). Mit diesem Test lassen sich Tenside verlässlich in verschiedene Verträglichkeitsklassen einsortieren (3). Mehr dazu z.B. hier: Haarshampoo – welches Produkt für welches Haar oder Ordentlich Schaum bitte.
Gesichtswässer, Reinigungswässer oder Make-up Tonics, sie alle enthalten Tenside. Dieses sind meist relativ gut hautverträgliche Rohstoffe, die aber alle eines gemeinsam haben: Sie bilden Mizellen.
Ein Produkt, das nicht hält, was es verspricht
In einem Testbericht bei Pinkmelon bin ich dann auf eine sehr ernüchternde Produktbeschreibung gestoßen: https://www.pinkmelon.de/test/pflege-2/gesicht-2/reinigung-3/garnier-skin-naturals-mizellen-reinigungswasser-all-in-1-normale-empfindliche-haut.html
Hier wurde das Produktversprechen: „Reinigung ohne Reiben“ klar widerlegt.
Mizellen sind keine Alleskönner, schon gar nichts Besonderes und dass sie nun im Produkt enthalten sind, liegt in der Natur der Sache … und vielleicht hätte sich der Hersteller mehr um die Effektivität seines Produktes kümmern sollen. Ach, und abspülen würde ich es auf jeden Fall auch.
Literatur:
(1) de.wikipedia.org
(2) www.experimentis.de besucht am 11.7.2016
(3) www.kosmetik-check.de besucht am 11.7.2016
Foto: ©iStock.com/akinshin
Autor dieses Artikels:
Dr. Ghita Lanzendörfer-Yu ist promovierte Chemikerin und Expertin auf dem Gebiet der Entwicklung und Produktion von Kosmetika. Sie bringt mehr als 16 Jahre Erfahrung in der kosmetischen Industrie mit sowie sieben Jahre freiberufliche Erfahrung in Shanghai, China und Mülheim adR.
Urheberrecht: Dr. Ghita Lanzendörfer-Yu. Verwendung des Textes nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors.
Dieser Artikel wurde verfasst am 26. Juli 2016
von Ghita_Yu in der Kategorie Geheimnis Kosmetik
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