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TSS und das humane Mikrobiom

„Darüber solltest Du schreiben!“ schlug Sylvia, Redakteurin bei Pinkmelon, in unserer Redaktions-Besprechung vor. „Toxic Shock Syndrome!“. Ich war skeptisch, war das nicht schon längst ausreichend diskutiert? „Ein Model in den USA hat deswegen ihr Bein verloren“, bemerkte Melanie, „durch die Verwendung von Tampons!“ „Ich schau mir das mal an“, seufzte ich und startete meine Recherche. Dabei ist TSS eigentlich nur der Anfang, die richtig spannende Geschichte spielt woanders: im Human Microbiome.

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©iStock.com/nicolas_

„Important“, stand auf der Packung und weiter: „Tampon use has been associated with toxic shock syndrome (TSS). Toxic shock is a rare but serious disease that may cause death”… Es war eine Tampon Packung aus Australien, ich schüttelte nur den Kopf. Völlig „over regulated“ fand ich. Es klang wie der Warnhinweis auf Zigarettenpackungen. Ich wollte den Tampon nicht rauchen, so bequem wie „meine“ war er übrigens auch nicht, aber es gab keine anderen und sterben würde ich davon schon nicht…

Toxic Shock – was ist das?

Toxic Shock klingt dramatisch, anders. Also googelte ich und fand es klang verdammt nach Sepsis und septischem Schock. Beiden ist gemeinsam, dass sich ein Bakterium unkontrolliert vermehrt und dabei große Mengen an Toxinen ausstößt, die dann zu „Vergiftungen“ führen. So etwas ist der Super-GAU im Krankenhaus, wenn z.B. multiple-resistente Keime eine Infektion verursachen, die mit Antibiotika nicht mehr behandelt werden kann. Sie äußert sich in Fieber, Unruhe und kann letztendlich zu Organversagen führen. So etwas kommt im Krankenhaus häufiger vor als im heimischen Badezimmer, das beruhigt etwas, ist aber noch lange keine Entwarnung. Beim TSS hat man das Bakterium Staphylococcus aureus als den Bösewicht identifiziert. Dies ist ein Keim, der eigentlich (fast) überall vorkommen kann, vor allem aber auf der Haut. Ein Grund, sich mal genauer anzusehen, wie wir Menschen überhaupt besiedelt sind.

Das Human Microbiome Project

Nachdem das Human Genome Project als ernüchterndes Ergebnis geliefert hat, dass wir Menschen uns genetisch relativ wenig unterscheiden, hat man sich der Besiedlung des Menschen durch Mikroorganismen angenommen. Dass wir von Mikroorganismen besiedelt sind, ist schon lange bekannt, aber eine systematische Untersuchung war lange nicht möglich. Erst durch Einsatz von gentechnischen Analysemethoden kommt man jetzt der Vielfalt an Organismen auf die Spur. Und: diese Vielfalt der Mikroorgansimen ist deutlich größer als gedacht. Und noch wichtiger: Wir selber beeinflussen durch unseren Lebensstil, wer bei uns lebt (siehe auch Nature 486, 207-214 (2012)).

Wichtigste Erkenntnisse bisher

In weltweiten systematischen Untersuchungen werden verschiedene Areale des menschlichen Körpers untersucht. Das sind vorwiegend: der Darm, der Uro-Genitaltrakt, die Mundhöhle und die Haut (natürlich an verschiedenen Stellen).
Eine wichtige und ich muss zugeben, eine die ich besonders schön finde, ist die Erkenntnis, dass die Besiedlung des Darms signifikant davon abhängig ist, was wir essen. Ein „Fleischfresser“ hat völlig andere Bakterien im Darm  als ein „Pflanzenfresser“. Und noch besser: man hat Bakterienarten (z.B. Prevotella, Xylanibacter) identifiziert, die als Stoffwechselprodukte kurzkettige Fettsäuren herstellen, die ihrerseits gut für den Darm sind. Diese Bakterien vermehren sich besonders gut, wenn man ballaststoffreiche Nahrung zu sich nimmt. Und es gibt weiterhin Hinweise darauf, dass das nicht nur die Darmwand schützt, sondern diese Stoffwechselprodukte auch das Immunsystem positiv beeinflussen, was sich wiederum gut auswirkt auf so Zivilisationskrankheiten wie Diabetes oder Fettleibigkeit (Adipositas). Auch die Entwicklung von allergischen Erkrankungen wie Asthma oder Neurodermitis wird mit diesen Bakterien bzw. deren Fehlen in Verbindung gebracht. Dies sind nur erste Beispiele, denn die Forschung steht erst am Anfang (siehe auch Immunity 40, 833-842 (2014)).

Das Mikrobiom der Haut

Die Haut ist für Bakterien eigentlich kein geeignetes Siedlungsgebiet, weil zu trocken. Deswegen findet man die interessanten Spezies auch eher unter den Achseln (siehe auch: Ohne Schweiß kein – Deo) und in Haarschäften. Dennoch ist die Vielfalt an Organismen auf der Haut enorm: Bakterien, Viren, Pilze und – ja, Melanie schüttelte sich am Telefon als ich es erwähnte – Milben. Diese Vielfalt, so nimmt man an, ist wichtig für die Hautgesundheit. Die Mechanismen, durch die sie beeinflusst werden, sind allerdings noch lange nicht untersucht (siehe auch: Nat. Rev. Microbiol. 9, 244-253 (2011)).

…und nun zum eigentlichen Thema

In der Scheide (Vagina) herrscht ein spezielles (saures) Milieu und die vorherrschende Spezies gehört zur Familie der Lactobacillaceae. Diese machen bei den meisten Untersuchten zwischen 80 und 90 % der Bakterien aus. Die Besiedlung der Scheide mit ihnen ist stark abhängig vom pH-Wert und unterliegt hormonellen Schwankungen. Und unter den anderen noch vorhandenen Bakterien können auch immer mal wieder geringste Mengen an pathogenen (= krankmachenden) Keimen, meist Staphylococcus aureus, vorhanden sein. In dem Human Microbiome Project werden nun gesunde Probanden untersucht, dort kommen die eigentlich nicht vor. Aber wer weiß denn schon, ob er/sie gesund ist? Und wie viele pathogene Keime machen krank?
Damit es nun zu einem Toxic Shock kommen kann, müssen – wie bei jeder Katastrophe – mehrere ungünstige Faktoren zusammen kommen. Hier die Periode, die den pH-Wert der Scheide ins Neutrale verschiebt (ungünstig für die Lactobacillaceae), ein Vorhandensein von Staphylococcus aureus und eine aerobe Umgebung (begünstigt durch Tampons, aber auch durch Binden und den neutralen pH-Wert), die dem pathogenen Keim die Möglichkeit gibt, sich schnell zu vermehren. Zusätzlich kritisch ist es, wenn der Tampon z.B. länger als 8 Stunden getragen wird. Die produzierten Toxine erhöhen die Körpertemperatur, wodurch sich der Keim noch besser vermehren kann. Dabei ist noch völlig ungeklärt, inwieweit wir selber durch unsere Hygienegewohnheiten das Risiko beeinflussen.
Wichtig dabei ist, ein Tampon injiziert dabei keine pathogenen Keime (siehe auch: Windeln, Tampons, Binden, Slipeinlagen) und wie sich aus den vielen ungünstigen Umständen ersehen lässt, ist ein TSS extrem selten. Dass das US-Model ihr Bein verloren hat, ist sehr bedauerlich, der Tampon war aber sicherlich nicht der Grund. Er hat als ein „Baustein“ dazu geführt, dass die Situation eskalierte. Wie die Richter nun bei der Schadensersatzverhandlung entscheiden, wissen wir nicht. Vielleicht lesen sie folgenden Artikel, der versucht die Zusammenhänge darzustellen: Sharra L. Vostral, Rely and Toxic Shock Syndrome: A Technological Health Crisis, Yale Journal of Biology and Medicine 84, 447-459 (2011).

Wir sollten vielleicht einen genaueren Blick auf unsere Lebensgewohnheiten werfen. So eklig wir sie finden mögen, aber die vielen Mikroorganismen, die uns besiedeln, sind gut für unsere Gesundheit. Vielleicht wird dann in einigen Jahren die erste Pflege für unsere kleinen Mitbewohner entwickelt. Falsch wäre es nicht, aber anfangen könnten wir schon mit einer bewussteren Ernährung. Unsere Hygienegewohnheiten sollten wir im Einzelfall vielleicht mal hinterfragen, einen Tampon müssen wir deswegen aber noch lange nicht weglassen.

Foto: ©iStock.com/nicolas_

Autor dieses Artikels:
Dr. Ghita Lanzendörfer-Yu ist promovierte Chemikerin und Expertin auf dem Gebiet der Entwicklung und Produktion von Kosmetika. Sie bringt mehr als 16 Jahre Erfahrung in der kosmetischen Industrie mit sowie sieben Jahre freiberufliche Erfahrung in Shanghai, China und Mülheim adR.

Urheberrecht: Dr. Ghita Lanzendörfer-Yu. Verwendung des Textes nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors.

Dieser Artikel wurde verfasst am 15. September 2015
von in der Kategorie Geheimnis Kosmetik

Dieser Artikel wurde seitdem 2889 mal gelesen.

2 Antworten zu “TSS und das humane Mikrobiom”

  1. Lonnie

    Toller Artikel!

  2. L.that.is.all

    Staphylococcus aureus kann bei unzureichender Hygiene in Betrieben auch in Lebensmittel geraten. Darum sind dort Kontrollen sehr wichtig.

    Ein toller und interessanter Bericht!

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